Kleinfang

Das passt ja wi d Fuscht uf z Eintä uz Oug uf z Angerä.

Samstag, 3. Januar 2009

Artikel Nr. 15 - Das Arme Lamm


Ich wollte mein schlechtes Gewissen beruhigen und wieder einmal einen Akt der Solidarität vollbringen. Denn im Alltag verhalte ich mich oft unsolidarisch. Ich bin eine von denen, die den Blick starr auf ein inexistentes Ziel richten und vorbeieilen, wenn sie in der Bahnhofunterführung einem Bettler begegnen. Und ich gehöre zu denen, die Fundraiser auf der Strasse permanent anlügen, entweder kein Geld, keine Zeit oder nicht das erforderliche Alter zu haben um ihrer Bitte nach einer Spende nachzukommen.  
Der Auslöser für meine Einsicht war aber, dass ich wie jedes Jahr an Weihnachten auch dieses mal in die Kirche ging und dort die Geschichte der Geburt Jesu hörte. Wie nie zuvor jedoch berührte mich das dadurch in Erinnerung gerufenen Schicksal des Kindes, das als Sohn des Allmächtigen in die Welt kam für die Armen und Schwachen und das später einmal sein Leben opfern würde für die Sünden aller Menschen. Und da geschah es, dass ich mich schuldig fühlte. Ich sündigte, indem ich meine bedürftigen Mitmenschen kalten Herzens überging und verschuldete somit den grausamen Tod dieses hilflosen Kindes, das Zeit seines Lebens nur die Liebe predigte und keiner Fliege etwas zu leide tat. Oh, was bin ich doch für ein grausames Monster! Diese unerträgliche Erkenntnis trieb mich dazu, meine Gewissensbisse so schnell wie möglich loswerden zu wollen. Ich begann zu überlegen, was ich tun könnte. Es sollte etwas sein, was mir keinen Spass machte. Ich wollte büssen! Da kam ich auf die Idee, Blut spenden zu gehen. Bis anhin konnte mich keine noch so verlockende Bestechung dazu bringen dies zu tun. Das Klemmen des Gummibandes an meinem Oberarm, das das Blut staut und meinen immer heisser werdenden Arm anschwellen lässt, das brennende Stechen der Nadel in meine Ellenbogenkehle, das Gefühl auf meiner Haut, wenn das warme Blut in die Spritze fliesst, die auf meinem Arm liegt, diese Erfahrung hat mir bei der ärztlich verordneten Blutabnahme völlig gereicht. Und dann die Vorstellung, für einen halben Liter meines Lebenssafts ein Sandwich zu erhalten, das finde ich einfach nur makaber. Ein Grund warum ich mich nun zu dieser Form der Busse entschied, war auch, dass meine religiös geprägte Ausgangslage ein weiteres, mystisches Argument lieferte, was mich umso mehr überzeugte, denn auch Jesus gab sein Blut her.
Ich muss vorwegnehmen, dass ich es nicht geschafft habe mein Gewissen mittels Blutspenden zu erleichtern. Denn als ich das Blutspendelokal betrat wurde mir von dem schrecklichen Anblick, der sich mir bot aufs mal so speiübel und schwarz vor Augen, dass ich taumelnd und mich an den Wänden abstützend das Gebäude verlassen und fliehen musste. Noch auf der Flucht warf ich die ganze himmlische Verblendung von mir, denn die Wucht mit der ich hier auf den harten Boden der Realität geworfen wurde war einfach zu gigantisch, als dass meine religiöse Anwandlung ihr standgehalten hätte. Mein Egoismus wurde gänzlich restauriert durch die Erkenntnis, dass es in dieser elenden Welt noch viel fürchterlichere und verlogenere Monster gab als mich. Denn das Blutspendelokal betretend erblickte ich eine Gruppe ekstatisch um einen Haufen Blutkonserven tanzender, schweissüberströmter Krankenschwestern. Und sie empfingen mich mit offenen Armen.